Perspektiv-Kabinett
Lienhart Stromair, zugeschr.
Augsburg, um 1560
Einheimische Laub- und Obsthölzer in Intarsie, Beschläge: Eisen, geätzt und mit Resten von Feuervergoldung, Messing feuervergoldet
Höhe 44 cm, Breite 70 cm, Tiefe 40 cm
Publiziert in: Laue, G.: Der Madrider Kabinettschrank. Ein Augsburger Renaissace-Möbel für den spanischen Hof. The Madrid Cabinet. Renaissance Furniture from Augsburg for the Spanish Court, Kunstkammer Edition 6, München 2019, S. 58, Abb. 59
Mit seiner kubischen Form und seiner Falltür gehört dieser prächtige „Schreibtisch“ zu den kunstvollsten Sammlerschränken, die in Augsburg, der europäischen Hauptstadt der Kunsttischlerei, in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstanden sind. Er zeichnet sich durch das raffinierte Intarsienfurnier aus, das perspektivische Veduten von Gebäuderuinen darstellt - ein seltener Dekorationsmodus, der zwei Themen aufgreift, die den Künstlern der Renaissance am Herzen lagen: die Regeln der linearen Perspektive und die Eitelkeit des irdischen Lebens. Schreibschränke mit solch raffinierten, einfallsreichen und kostbaren Intarsien sind äußerst selten. Erwähnenswert sind vergleichbare Augsburger Schränke im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg, im Bayerischen Nationalmuseum in München, im Victoria and Albert Museum in London, im Museo Lázaro Galdiano in Madrid und im Schloss Veltrusy bei Prag. Diese Kabinette werden aufgrund ihres außergewöhnlichen Dekors mit perspektivischen Veduten in die Zeit um 1560 datiert und stammen wahrscheinlich aus derselben Augsburger Kistler-Werkstatt. Die Nürnberger und Münchner „Schreibtische“ werden dem berühmten Augsburger Kistler Lienhard Strohmaier zugeschrieben, der wahrscheinlich auch die anderen Objekte dieser kleinen Werkgruppe, darunter den vorliegenden Perspektivschrank, gefertigt hat. Paul von Stetten, der Historiograph des 18. Jahrhunderts, der in seiner Gewerb- und Handwerks-Geschichte der Reichs-Stadt Augsburg (1779) eine Chronik der Künste verfasste, berichtet, dass im 16. Jahrhundert in Augsburg eine große Anzahl von Schränken mit perspektivischen Darstellungen von Architekturen hergestellt wurden, was jedoch nur wenigen Kistlern gelinge. Die einzigen Stücke, die er zu den wenigen „wirklichen Kunstwerken“ zählte, waren die „mit großer Kunstfertigkeit hergestellten Schreibtische“ von Bartholomäus Weishaupt und Lienhard Strohmair. Strohmair war nachweislich seit 1538 und bis zu seinem Tod im Jahr 1567 in Augsburg tätig. Ein dokumentierter Streit mit dem Augsburger Stadtrat belegt, dass er die größte Kistler-Werkstatt in Augsburg besaß und sich auf feinste Einrichtungsgegenstände spezialisierte, die er nicht nur an den kaiserlichen Hof, sondern auch an ausländische Würdenträger verkaufte.
