Ecce homo
Martin Luther und Pontius Pilatus präsentieren Christus
Christoph Lencker (Meister 1584-1613), attr.
Augsburg, um 1600
Silber, getrieben, ziseliert, Holzrahmen
Maße mit Rahmen: Höhe ca. 24 cm, Breite ca. 21 cm
Provenienz: Köln, Privatsammlung
Publiziert in: Laue, G.: Wunder kann man sammeln. Merveilles à collectionner, München 2006, S. 18
„Ecce Homo“, „Siehe, welch ein Mensch“: Diese Worte spricht der römische Statthalter Pontius Pilatus beschwichtigend, als er dem versammelten Volk und seinem Anführer, dem Hohepriester Kaiphas, den gegeißelten Jesus von Nazareth mit Dornenkrone und purpurnem Gewand vorführt und klarstellt, er erkenne keine Schuld in Jesus. Diese häufig dargestellte Episode des Johannesevangeliums ist auf dem vorliegenden Silberrelief in geradezu theatralischer Inszenierung zugespitzt und auf drei Protagonisten reduziert: Zwischen Pontius Pilatus und seinem Helfer steht Christus im Zentrum des Bildes vor einer Steinbalustrade. Während links hinter Christus Pontius Pilatus als bärtiger Mann mit Turban dargestellt ist, steht rechts anstelle des üblichen Soldaten oder Schergen ein Mann mit gelocktem Harr und Barett, der einem Renaissance-Bildnis zu entspringen scheint. Tatsächlich dürfte der zeitgenössische Betrachter diese Figur auf Anhieb als Martin Luther identifiziert haben. Der Wiedererkennungseffekt wird einerseits durch die markanten Gesichtszüge und andererseits durch die charakteristische Kopfbedeckung verstärkt, die sich auf zahlreichen gemalten und gestochenen Bildnissen des Reformatoren wiederfinden. Daß Luther hier als Protagonist neutestamentarischer Geschehnisse auftritt, hängt mit der Verehrung des Reformatoren zusammen, die bereits im 16. Jahrhundert einsetzte und dazu führte, daß Luther nicht selten mit Heiligenschein oder gar selbst als Heiliger dargestellt wurde. So präsentiert sich die vorliegende Ecce Homo-Tafel nicht nur als kostbares Devotionsobjekt, sondern auch als konfessionelles Bekenntnis. Die ungewöhnlich hohe Qualität der Treibarbeit und die politisch-religiöse Tragweite der Ikonographie deuten indes darauf hin, daß dieses Werk als Kunstkammerobjekt ersten Ranges angesehen wurde, das zu Beginn des 17. Jahrhunderts die Begierde mancher fürstlicher Sammler evangelischen Glaubens geweckt haben dürfte.
